Match 8:
Goldust
vs. the Undertaker

Immer wieder (leider aber auch immer seltener) gibt es im Wrestling diese Typen, die Gänsehaut verursachen. Die Typen, die es verstehen eine Stimmung zu erzeugen, Geschichten auf ihre ganz eigene Art und Weise zu erzählen. Die so sehr überzeichnet sind, dass ihnen ihre Rolle abgenommen wird, so abstrakt und nicht-von-dieser-Welt sie einem auch vorkommt. Es sind die Phänomene, die es schaffen, Emotionen bei zig-Tausend Fans in einer Halle auszulösen, die einzig und allein auf deren Aura zurückzuführen sind.
Hat man so einen Charakter in seiner Show - dann hat man eine erfolgreiche Show. Hat man eine Geschichte mit solch einem Charakter, dann kommen Menschen, um die Weiterführung eben dieser Geschichte mitzuerleben - um das Gefühl zu bekommen, Teil von etwas Bedeutsamen zu sein. Bedeutsam - solche Charaktere machen Belangloses bedeutsam. Was wäre das Wrestling-Business ohne sie? Zyniker würden antworten: "Endlich ein Sport". Kinder des Sports-Entertainment antworten: "Farblos".

Die Stars und ihre Zeit

Der Anspruch an diesen Artikel kann und darf nicht sein, der Legende des Undertaker in Worten gerecht zu werden. Und doch ist genau diese Legende durch den einleitenden Absatz in meinen Augen perfekt beschrieben. Ein Wrestler schreitet zum Ring, er und jeder einzelne Fan kennen bereits sein Schicksal. Nach dem Einmarsch erlischt das Licht in der Halle, ein lauter Aufschrei, Gänsehaut. Ein Gongschlag. Ein Weiterer. Die Halle steht Kopf, ich vorm Fernseher mache das Licht aus, um die Stimmung besser aufnehmen zu können. Qualm, eine Hymne, blaues Licht - ein blasser, pummeliger Mann mit einer goldenen Urne und einem schaurigen Gesichtsausdruck betritt die Halle durch den Qualm, dreht sich halb und zeigt mit einer Hand in den Eingansgbereich, aus dem langsam und bedächtig ein 2-Meter-Hyne schreitet. Schwarz gekleidet, den Körper in einen Mantel gehüllt, das helle Gesicht durch lange schwarze Haare und einen dunklen Hut verdeckt. Sie nennen ihn den "Deadman", er nennt sie "Creatures of the Night" - und mehr als jeder andere Wrestler, der seinen Fans Namen gab, hat der Undertaker recht, denn sobald er die Halle betrat, wurde jeder Fan zu dem was der Taker wollte, zu einem Gefolgsmann des Deadman. Die Stimmung, die der Undertaker in den frühen 90er-Jahren erzeugte lässt sich kaum in Worte fassen. Die enorme Ausprägung wurde einem erst wieder beim Deadman-Comeback bei WM20 bewusst, als all das Gewesene auf einen Schlag wieder real wurde. Der erste Face-Undertaker, der der gegen sein eigenes Ich kämpfte und von Yokozuna und dem gesamten Lockerroom erstmals in einem Sarg begraben wurde - das ist der Undertaker, wie er mich am meisten fesselte. Kein Garant für großartige Kämpfe - sein wirkliches Können zeigte er erst ab der Bikerzeit. Aber ein Garant für großartiges Entertainment, von dem Moment an, in dem er den Saal betrat und bis zu dem Moment, in dem er den Saal verließ und sich der Puls aller langsam senkte. Dieser Undertaker muss Teil meiner Show sein.

Phenom - einer der vielen Spitznamen des Undertaker, vielleicht aber der treffenste. Seit über 15 Jahren ist er fester Bestandteil der WWE-Shows und immer in der Uppercard. Verständlich, dass jede Wrestlingliga das unheimliche Potential dieses Charakters vervielfältigen wollte. Die Neuausrichtung des Stinger war ein großer Erfolg, auch der dunkle Raven-Charakter wusste zu unterhalten. Zum Boogeyman kann man geteilter Meinung sein - Mordecai war zu offensichtlich ein invertierter Klon des Takers und damit zum Scheitern verurteilt. Bei vielen dieser Kopien war die Herangehensweise einfach falsch. Man nahm die selben Zutaten wie beim Taker und versuchte sie neu zu mischen, dabei waren die Zutaten nicht das Ausschlaggebende, sondern die Art und Weise zu kochen. Goldust - er war die Offenbarung, bei ihm verstand man das Prinzip und nahm sich der Kochanweisungen des Undertaker an und bruzelte sie mit anderen Zutaten. Vom ersten Moment an war Goldust das perfekte Paket, seine Promos, die Filmzitate und der erste Einmarsch. Ich erinnere mich noch genau. An den Moment, an dem das goldene Haar, die Perücke zum ersten Mal abgenommen wurde. Was man mit Goldust in seiner ersten Heel-Runde machte, war einfach von vorne bis hinter großartig. Das Gimmick hatte Tiefe wie kaum ein anderes und der Charakter eine Aura, wie ich sie seit - ja, dem Undertaker nicht mehr erlebt hatte. Seit dem Faceturn machte man mit Goldust viel kaputt. Dabei wird jedoch so oft vergessen, was Goldust einmal war: Der mächtigste Heel seiner Zeit, das Innovativste im Pro-Wrestling. Und genau diesen Goldust, den Großen, den zitierenden, leicht schwulen, unnahbaren Kanarienvogel - der, dessen Namen man nie vergisst.

Das Match – die Motivation

Es gab Aufeinandertreffen des Takers und Goldust, sogar nahezu zur beschriebenen Zeit. Das Potential dieser Konstellation schöpfte man jedoch nicht im Ansatz aus. Der damalige Goldust wäre eine so verdammt perfekte Ergänzung zum Taker gewesen. Das Wesen der Nacht gegen den mächtigen ... Was-auch-immer Goldust denn war. Die Fehden beider Stars lebten von Mindgames, die aber leider außer bei wenigen Ausnahmen immer nur einseitig waren. Eine Geschichte zwischen den beiden Königen der Mindgames hätte man gut 6 Monate vorbereiten können, ohne das sie auch nur ein einziges Mal gegeneinander angetreten wären. Heute stellt man dem Undertaker hauptsächlich starke und übermächtig erscheinende Gegner in den Weg. Was doch aber viel mehr wirken würde, wäre das gewesen, was man in einer langlebigen Fehde mit dem Ur-Goldust erreicht hätte: Man hätte dem Undertaker keinen übermächtigen, sondern einen ebenbürtigen Gegner entgegengestellt. Das wäre Inhalt dieser meiner Traumfehde. Ein dunkler Undertaker, ein abgeklärter Goldust - die Könige der Mindgames im Kampf um die alleinige Herrschaft.

Die Vision

Die Vision ist eine Zeit voller Gänsehautmomente, einer Spielwiese für die großartigen Booker dieser Zeit. Effekte, Spielchen, Überraschungen, Wendungen. Ein ewig langer Aufbau, der in genau diesem Match enden würde. Ein Match, eingeleitet von langezogenen Einmärschen, begonnen durch einen Staredown, der in die Geschichtsbücher eingehen soll. Ein abgeklärter Undertaker der keine Miene verzieht. Goldust mit dem Kussmund, die einatmende Geste und dann beginnt das Match. Und am Ende triumphiert - niemand. Der Kampf findet keinen Sieger und endet so, wie er begonnen hat - in einem Staredown. In einem Staredown zweier Männer, die an ihre körperlichen und geistigen Grenzen gestoßen sind - die in diesem Kampf ihren Meister fanden und sich in eben diesem Wissen trennen. Richtig verkauft kann solch ein Ende einen neuen Maßstab setzen.
Ich verfluche jeden einzelnen Booker, der aus Goldust die Witzfigur gemacht hat, die er in den letzten Jahren war. In meinem PPV gebe ich ihm den großen Moment, den seine Leistung immer verdient hätte.